Samstag, 16. August 2008

Traum und Wirklichkeit

Wenn man Novalis liest und empfindet, dann wird man seelisch erquickt, ermuntert, erfrischt oder auch von Leid, Trauer und Mitgefühl ergriffen. Seine Inhalte kommen leichtfüßig, hüpfend, springend, kraftvoll, sehnsüchtig, traurig oder leidenschaftlich daher. Immer sind auch seine höchsten Gedanken gefühlsentzündend.

In ihm verspürt man ganz Wesen und Charakter des Jugendlichen. Einer wirklichen Jugend, die schon das ganze Leben erfasst, aber noch unbeeindruckt ist von den hemmenden Kräften und Vorbehalten, Rücksichtnahmen und Zögerlichkeiten der Erwachsenenwelt. Ein Lebensalter, das die großen Weltgedanken zu denken wagt, gleichgültig ob es die Welt gestattet oder nicht. Einer Jugendkraft, die noch nicht zur voll verantwortlichen Lebenstat schreiten muss und in den Schranken des Berufs den Lebensunterhalt selbst erwirtschaften muss.


Und wie der Bewusstseinszustand in der Kindheit im Verhältnis zur gesamten Menschenbiographie meist wie ein „Noch-Schlafen“ ist, so lebt vergleichsweise die Jugendzeit in einem eher „träumenden“ Bewusstseinszustand.

Die freie Beweglichkeit des Träumens, ohne die Schranken der physisch irdischen Naturgesetze, die Gefühlsdurchdrungenheit des Traumes, das Ausgeliefertsein an Wesen und Kräfte, das charakterisiert auch das Jugendleben.

Das volle Erwachen in das Leben hinein erfährt der Mensch meist gegen das dreißigste Lebensjahr hin.

In dieser Art der Betrachtung der Lebens-Bewusstseinstufen würde die Kindheit bis zum 14.Lebensjahr, bis zur Reifezeit andauern. Während die Jugendkräfte noch einmal gut zwei Jahrsiebte wirken können.


So ganz und gar verkörpert Novalis diesen Jugendsinn, dass er damit sogar sein Leben vollendet. Er stirbt am 25.März 1801 noch vor seinem 29. Geburtstag. Und wie ein Traum im Geschehen des Alltags so schwer oft nur zu halten ist, so leicht wie er sich auflöst, wie ein Nebeldust in der Morgensonne, so schwand sein Leben dahin.


Und wer Novalis liest, dem mag es mit seinem Werk ähnlich ergehen. Wenn er in die tief empfundenen Gedankenwege eintauchen kann, dann mag es ihm hinterher erscheinen, als wäre alles wieder entschwunden und nur eine allgemeine Erinnerung bliebe zurück: „Da war doch etwas gewesen?“


Vielleicht geht auch die heutige Kulturwelt mit ihm in ähnlicher Weise um. Im Leben lässt der Kulturmensch sich nicht von Novalis beeindrucken, aber die meisten wissen: „Ja, neben Goethe und Schiller da gab es noch einen, der hieß Novalis. Bei dem war alles etwas phantastisch und überschwänglich. Mit dem Verstand mag man sich bei ihm doch nur abquälen. Das lässt man lieber.


So findet man z.B. im Internet folgende Bemerkung:


„Er hinterließ nicht nur ein geheimnisvolles Werk, sondern er war ein mystischer Schwärmer mit Todessehnsucht, für den die Welt zum Traum wird und der Traum zur Welt. Novalis ließ in die romantisierte Welt naturwissenschaftliche Erkenntnisse einfließen.“ (Verfasser unbekannt)





Lebendige Naturwissenschaft

Novalis sah das Heraufkommen der modernen Naturwissenschaft. Er empfand diese Art der Naturbetrachtung als einseitig und fühlte, dass sich der Mensch nicht mehr mit seinem ganzen Wesen dieser Wissenschaft verbinden könne. In seinen Augen kann die neue Wissenschaft nur das Tote erfassen. Sie will wohl die lebendige Natur erforschen, aber sie muss, um das Leben zu erfassen, das Leben töten.


„...suchten jene (Wissenschaftler) mit scharfen Messerschnitten den innern Bau und die Verhältnisse der Glieder zu erforschen. Unter ihren Händen starb die freundliche Natur, und ließ nur tote, zuckende Reste zurück....“

(Aus: Novalis, Die Lehrlinge zu Sais)


Diese Methode ergab sich für ihn durch eine einseitige Betätigung des Kopfes, des Verstandes. Er empfand es deshalb als notwendig, dass der Mensch sich mit seinem ganzen Wesen, mit seinem ganzen Erleben, Empfinden und Denken der Natur verbinde, um sich und sie selbst zu erforschen. Eine solche umfassende Betätigung liefere auch umfassende Eindrücke und Erkenntnisse. Diese könnten dann nur in künstlerischer Weise zum Ausdruck gebracht werden. Nur der Dichter kann in seinen Augen die rechten Worte finden, um das Wesen der Natur zum Ausdruck zu bringen. Er hat die Möglichkeit, das Leben in der Natur zu erfassen und in Worte zu fassen:


„Daher ist auch wohl die Dichtkunst das liebste Werkzeug der eigentlichen Naturfreunde gewesen, und am hellsten ist in Gedichten der Naturgeist erschienen. Wenn man echte Gedichte liest und hört, so fühlt man einen innern Verstand der Natur sich bewegen, und schwebt wie der himmlische Leib derselben, in ihr und über ihr zugleich. Naturforscher und Dichter haben durch Eine Sprache sich immer wie Ein Volk gezeigt. Was jene im Ganzen sammelten und in großen geordneten Massen aufstellten, haben diese für menschliche Herzen zur täglichen Nahrung und Notdurft verarbeitet..“


(Aus: Novalis, Die Lehrlinge zu Sais)

NOVALIS

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